Geschlechtergerechte Sprache

Aus der Praxis des Aachener Sprachtelefons hier eine aktuelle E-Mail-Anfrage:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

können Sie mir bitte die korrekte Schreibweise rückmelden? Es geht um die
Darstellung von weiblichen und männlichen Angehörigen von Personengruppen,
ohne beide Genera ausschreiben zu müssen.

Beispielsatz:
Unser erfahrenes Team – bestehend aus Sportlehrer/innen,
Krankengymnast/innen und Sozialarbeiter/innen – ist […].

Wie ist die aktuelle, korrekte Darstellung?“

Heikel, heikel – die gesellschaftspolitische Dimension dieser Frage ist kaum zu überlesen. Anfragen an das Aachener Sprachtelefon, die eine geschlechtergerechte Schreibweise von Berufsbezeichnungen betreffen, sind keinesfalls selten. So haben sich vor einiger Zeit bspw. Vertreter einer Partei bei mir darüber erkundigt, ob es denn Mitglieder und Mitgliederinnen heißen müsse. Gerade bei Berufsbezeichnungen in Stellenausschreibungen existiert auch eine gewisse juristische Komponente. Die Frage nach dem, was genau hier als „korrekt“ abgefragt wird, ist in diesem Kontext einen Satz wert: Dem anfragenden Unternehmen ging es um eine Korrektheit im Sinne einer normativen Sprachregel und nicht um konventionelle Regeln des gesellschaftlich Angemessenen. Dass bspw. Feministinnen und Feministen die Binnengroßschreibung mit I gutheißen (bspw. in StudentInnen), diese aber eindeutig den gültigen Rechtschreibregeln widerspricht, ist wohl kein Geheimnis – trotzdem ist die Schreibung mit sog. Binnen-I schon längst gebräuchlich und wird im Duden Band 9 (Richtiges und gutes Deutsch) zumindest auch erwähnt.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Sprache zu realisieren – es kommt aber, möchte man eine Beratung dahingehend vornehmen, welche die jeweils angemessenste sprachliche Realisierung ist, immer auf die konkreten Fälle an. So sind bei Fällen, bei denen sich in geschlechtergerechter Schreibweise Vokale am Anfang oder innerhalb des Wortes ändern, Klammerformen, Student(in), Binnengroßschreibung, StudentIn, oder Schrägstrichformen, die nur Endungen voneinander trennen, Mitarbeiter/-innen, zu vermeiden: *Arzt(in)*, *ArztIn*, *Arzt/-in* – in diesen Fällen würde ich zur Doppelform, Arzt / Ärztin, wir suchen eine Ärztin / einen Arzt usw., raten.

Bei allen angesprochenen Möglichkeiten gibt es Kritikpunkte: So könnte man bei der einfachen Klammer sagen, dass der weiblichen Form eine bloß untergeordnete Rolle „in Klammern“ (Polizist(in)) eingeräumt wird.

Im obigen Beispiel habe ich dem anfragenden Unternehmen dann dazu geraten, die Variante mit Schräg- und Bindestrichen zu wählen: […] bestehend aus Sportlehrer/-innen,
Krankengymnast/-innen und Sozialarbeiter/-innen
[…]. Dies hatte hier 5 Gründe:

1. Es kommt zu keinen Vokaländerungen vor den Schrägstrichen.
2. Es müssen keine Artikel oder Attribute dem Genus entsprechend neu dekliniert werden, sie sind im konkreten Fall einfach nicht vorhanden.
3. Man vermeidet so den Vorwurf einer Unterordnung der weiblichen Form.
4. Eine durchgehende Doppelung der Formen würde den Einschub unnötig verlängern.
5. Die Möglichkeit mit Schräg- und Bindestrichen entspricht hier zweifellos der aktuellen Rechtschreibung – und danach war ja vor allem gefragt.

Dieses konkrete Beispiel zeigt, dass einer linguistischen Sprachberatung, wie sie beim Aachener Sprachtelefon betrieben wird, eine Wertung – mindestens im Sinne einer Hierarchisierung verschiedener Möglichkeiten – zugrunde liegen kann, wahrscheinlich sogar immer auch zugrunde liegt. Mit anderen Worten: Es handelt sich um implizite Sprachkritik, die in der konkreten Beratungssituation expliziert wird.

Nachtrag 1 (10.7.2012):

Auf der Homepage der RWTH Aachen gibt es einen allgemeineren Ratgeber zum Thema „Geschlechtergerechte Sprache. Wie formuliere ich einen Text geschlechtergerecht? 7 Tipps und Tricks.“ Das ist sicherlich eine gute Idee, es wird darin aber bspw. ersichtlich, dass dieser allgemeine Ratgeber in der konkreten Fragestellung (s.o.) recht wenig geholfen hätte.

Nachtrag 2 (12.7.2012):

Wer sich mit linguistischer Sprachkritik näher auseinandersetzen möchte, dem empfehle ich das Kapitel 2.2.4 in Sprachkritik. Ansätze und Methoden der kritischen Sprachbetrachtung von Kilian/Niehr/Schiewe (2010). Darin befinden sich auch weitere Literaturhinweise. Konkret zum Thema „Personenbezeichnungen“ ist der Aufsatz  Personenbezeichnungen im Deutschen als Gegenstand feministischer Sprachkritik von Gisela Schoenthal empfehlenswert.

Als praktischer Ratgeber bietet sich in meinen Augen der Eintrag Gleichstellung von Frauen und Männern in der Sprache im Duden Band 9 an. Dort werden verschiedene Möglichkeiten beispielreich diskutiert.

8 Gedanken zu „Geschlechtergerechte Sprache

  1. Ein angenehm unaufgeregter Beitrag, der ein häufig diskutiertes Problem gut beleuchtet – und zwar ohne die (speziell bei diesem Thema) vielerorts üblichen Übertreibungen in die eine oder andere Richtung. Ich freue mich auf viele weitere Beiträge vom SprAACHENblog.

    • Vielen Dank für die nette Kritik. Ich glaube, dass gerade bei sehr emotionalen Themen eine sehr nüchterne Herangehensweise angemessen ist – zumindest wenn man aus einer wissenschaftlichen Richtung kommt. Natürlich habe auch ich hier eine eigene und eindeutige Meinung, die spielt aber in der konkreten Beratung eine sehr untergeordnete Rolle und wenn ich mich auf diese berufe, mache ich das auch explizit klar. So habe ich es ja auch bspw. beim Argumentationspunkt zur einfachen Klammerform getan.

      Ein weiterer sehr wichtiger Punkt ist die Beispiel- und damit Kontextgebundenheit: Es wurde nach einem konkreten Fall gefragt und ich habe – mit linguistischen Kategorien begründet – konkret darauf geantwortet. Man kann sich dann an meiner Empfehlung orientieren oder man lässt es: Ein allgemeines Urteil ist aber gerade bei dieser Thematik, bei der es verschiedene Alternativen gibt, aus linguistischer Perspektive nicht angebracht. Es kommt schon vor, dass nach einer allgemeinen Lösung zu sprachlichen Problemen gefragt wird, aber die gebe ich dann eben nicht und erkläre dann auch, wieso ich es nicht mache: In vielen Fällen – wie auch eben diesem – würde ein solches Vorgehen unseren fachlichen Erkenntnissen einfach widersprechen.

  2. Das Thema „geschlechtergerechte Sprache“ im Allgemeinen und Dein Beispiel im Speziellen zeigen einleuchtend, wie man aus linguistischer Sicht durchaus wertend und kritisch agieren kann – eben vor dem Hintergrund sprachwissenschaftlicher Analysen und Erkenntnisse.

    Vielen Dank auch für den Hinweis auf den von der RWTH (bzw. der Gleichstellungsbeauftragten) publizierten Ratgeber. Motiv und Ansatz dieses Leitfadens kann ich gut nachvollziehen, allerdings erschließen sich mir nicht alle der „7 Tipps und Tricks“.

    – So heißt es zum Beispiel unter Punkt 4: „Verwenden Sie Alternativen bei geschlechtsspezifisch zusammengesetzten Wörtern.“ Hier wird beispielsweise empfohlen, statt „Computerexperte“ die Bezeichnung „Computerfachperson“ zu verwenden. Dies sind für mich jedoch keine synonymen Begriffe.

    – Unter Punkt 5 heißt es anschließend: „Verwenden Sie gleichwertige geschlechtsspezifische Formulierungen.“ Das dazugehörige Beispiel: „Prof. Christian Müller, Moderator der Podiumsdiskussion, reiste mit seiner Frau, der Unternehmensberaterin Dr. Christiane Schmidt, nach Berlin“ statt „Prof. Christian Müller, Moderator der Podiumsdiskussion, reiste mit seiner Frau nach Berlin.“ Bin ich hier nicht viel „gerechter“, wenn ich einfach sage/schreibe, dass Prof. Christian Müller, Moderator der Podiumsdiskussion in Begleitung nach Berlin reiste? Erstens kann er so ggf. auch von seinem Lebenspartner begleitet werden und zweitens, tut es für diesen Zusammenhang gar nichts zur Sache, ob seine Frau nun Tierärztin, Architektin oder Unternehmensberaterin ist, oder? Sie war immerhin nicht in ihrer beruflichen Funktion eingeladen, sondern er.

    Hinweise auf die verwendete Literatur (oder zumindest ergänzende Literatur zum Thema) wären natürlich ebenfalls wünschenswert gewesen 😉

    • Auch dir danke ich für die umfangreiche Kritik. Was die Hinweise der Gleichstellungsbeauftragten der RWTH angeht, gebe ich dir auch völlig recht. Da stehen zwar durchaus intelligente Hinweise drin, in vielen Kontexten sind diese aber schlichtweg ohne Relevanz. Das Beispiel „Arzt“ aus meinem Beispiel verdeutlicht dies: Der Plural „Ärzte“ bleibt bspw. auch im Plural männlich markiert. Eine „krampfhafte“ Umformulierung wäre wohl auch unangebracht. Es ist immer eine Wahl aus verschiedenen Möglichkeiten.

      Ergänzende Literatur werde ich aber gerne morgen in einem „Nachtrag 2“ vorstellen, danke für den Hinweis!

      • War die Frage nach der verwendeten Literatur nicht auf den TH-Ratgeber bezogen? Dort werden ja tatsächlich keinerlei Angaben in dieser Richtung gemacht. Jedenfalls ist es nicht schlecht, wie ich finde, dass es dieses kurze .pdf-Dokument gibt, auch wenn es im Einzelfall womöglich nicht weiterhelfen wird – wie ihr ja schon bemerkt habt. Zumindest einen Hinweis, an welcher Stelle man sich etwas mehr über das Thema informieren kann, wäre nicht verkehrt. Vielleicht schlägt man mal vor, dass dort auf das Sprachtelefon verwiesen werden könnte … 🙂 In jedem Fall danke für den schönen Artikel!

      • Ich habe meinen Beitrag um zwei kurze Literaturhinweise ergänzt. Ob die Kritik nun dem Leitfaden der RWTH oder mir gegolten hat, das ist vielleicht auch eher sekundär: Ein paar kleine Hinweise mit linguistischem Background sind bei diesem emotionalen Thema sicher nie verkehrt.

        Ich habe gestern übrigens eine sehr „skurrile“ Homepage gefunden, die der IG Antifeminismus. Diese Homepage ist ein Beleg dafür, dass die Begriffe Feminismus und feministische Sprachkritik nicht synonym benutzt werden sollten …

        Auch wenn es hier ganz und gar nicht hingehört, möchte ich doch einen Fund auf dieser Seite nicht geheim halten: Unter den Zitaten, die eine Vielzahl chauvinistischer, sexistischer und beleidigender (und aus den Kontexten gerissener) Belege darstellen sollen, findet sich auch ein Zitat von Anders Behring Breivik, dem rechtsextremen Massenmörder, der im November 2011 in Norwegen 77 Menschen getötet hat. Das Zitat ist dort unkommentiert in die „Sammlung“ aufgenommen worden: „Ich erkenne norwegische Gerichte nicht an, weil sie ihr Mandat von norwegischen politischen Parteien erhalten, die den Mulitikulturalismus unterstützen.“ Ob mir diese Tatsache jetzt etwas über die Betreiber der Seite verrät, spielt hier gar keine Rolle – eine andere Frage ist aber vielleicht doch interessant: Ist so etwas ein Fall für Sprachkritik? Ich denke schon!

  3. Das (mit)empfohlene „Krankengymnast/-innen“ finde ich stilistisch ziemlich grenzwertig, denn der maskuline Plural lautet auf {-en} und nicht auf {-∅}. Darum hätte sich hier eine Klammerschreibung angeboten: „Krankengymnast(inn)en“. Allerdings ist die Mischung verschiedener *Gendrifizierungen innerhalb einer Phrase wiederum kein schöner Stil. Wenn man also durchgängig bei der Variante mit Schräg- und Binde- bzw. Ergänzungsstrich bleiben möchte, wäre „Krankengymnasten/-innen“ oder – etwas unkonventioneller und damit auf feministischer Sichtbarkeit-Linie – „Krankengymnastinnen/-en“ angebracht. Die Strichvariante ist nicht aufs Anhängen beschränkt, sondern kann auch zum Ersetzen genutzt werden (zumal man Anhängsel meist auch als Austausch gegen ∅ interpretieren kann).

    „Unser erfahrenes Team – bestehend aus Fachleuten für Sportunterricht,
    Krankengymnastik und Sozialarbeit – ist […].“
    „Unser erfahrenes Team besteht aus ausgebildeten Fachleuten für Sportunterricht,
    Krankengymnastik und Sozialarbeit. Wir sind […].“
    „In unserem erfahrenen Team arbeiten ausgebildete Fachleute für Sportunterricht,
    Krankengymnastik und Sozialarbeit zusammen. Wir sind […].“

    In Grammatiken (vor allem bei der Pluralbehandlung) sieht man übrigens ab und zu Behelfsschreibungen, die darauf übertragen das Umlautproblem ansatzweise lösen könnten: „Arzt/-̈in“, „Arzt/=in“, „Arzt/“-in“, „Arzt/¨-in“, „Ārzt/-in“, „Ȧrzt/-in“.

    Obwohl in der ansonsten oft innovativ-präskriptiven „Feministischen Linguistik“ derzeit nicht besonders populär, hoffe ich immer noch, dass es langfristig einen umfassenderen Sprachwandel gibt, indem die Motion nicht auf ein Sexus beschränkt bleibt, sondern {-in} um ein männliches Pendant ergänzt wird. Dann könnte die kürzeste Form wieder – oder erstmals – geschlechtsneutral als Generikum gebraucht werden.
    Normalerweise wird dafür ein neuerdachtes Affix vorgeschlagen, z.B. {-on}, aber das Deutsche hat bereits einen komplementären Morph, der das Wort, dem er angehängt wird, maskulinisiert: {-ling}. Synchron wird es produktiv wenig und ggf. leicht diminuierend verwendet, aber das war bei {-in} bis ins 19. Jahrhundert kaum anders. {-ling}/{-linge} ist im Singular etwas länger oder umständlicher, aber im Plural kürzer als {-in}/{-innen}.
    (Andere Motionsformen sind weit weniger relevant, aber die pronominalen und die adjektivische Flexion darf man nicht vergessen.)

  4. Danke für den informativen Artikel und ganz besonders für den Hinweis im Nachtrag. Das Thema Gender und Sprache müssen wir für die Unternehmenskommunikation unbedingt aufarbeiten.

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