Je suis Böhmermann!

Bereits im März 2015, knapp 1 Jahr ist es her, habe ich in diesem Blog über eine Satire Jan Böhmermanns geschrieben, die in meinen Augen entlarvender und zielführender nicht hätte sein können. Sie war Diskurskritik at its best. Das Grimme-Institut sah es ähnlich, für #Varoufake gab es den Grimme-Preis 2015. Jetzt droht Böhmermann nicht der Grimme-Preis, vielmehr droht ihm ein Prozess wegen eines vermeintlichen Schmähgedichts auf Recep Tayyip Erdoğan, den neuen Lieblingsverbündeten der Bundesregierung und amtierenden Präsidenten der Republik Türkei.

Eigentlich ist es bemerkenswert und klingt wie ein schlechter Scherz: Erdogan schränkt in der Türkei aktuell die Meinungs- und Pressefreiheit systematisch ein und verlangt eine Bestrafung für ein Gedicht bzw. das Vortragen eines Gedichts (das ist ein kleiner, aber sehr feiner und wichtiger Unterschied, dazu komme ich später), das im NEO MAGAZIN Royale vorgetragen wurde. Das Gedicht steht nicht alleine dar, sondern existiert zusammen mit einem vorherigen Song, Erdowie, Erdowo, Erdogan von Extra 3 (NDR), und mit der Diskussion um den deutschen Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, der wohl der türkischen Regierung wegen des Songs Rede und Antwort stehen musste. In diesem Beitrag soll es nicht um den Song gehen, sondern um Böhmermanns Gedicht – die folgenden Ausführungen zu Satire sind aber gleichermaßen gültig.

Schauen wir uns mal den Satire-Begriff an, das ist durchaus spannend. Satire ist nach Breinig von ihrer „soziale[n] Funktion, Aggression und ästhetische[n] Vermittlung“ ausgehend definierbar (Breinig 1984, S. 69). Nach Meyer-Sickendieck (2007, Sp. 446) ist Satire keine Gattungsbezeichnung, sondern vielmehr die Oberbezeichnung für „von aggressiv-ironischer Rhetorik geprägte ästhetische Werke“, die der „Verspottung des Lasters, im Unterschied zur Verspottung konkreter Einzelpersonen“, dient. Budzinski (1985, 218) führt weiter aus, dass Satire „mit Mitteln des Komischen als negativ empfundene gesellschaftliche und politische Zustände und Konventionen“ übertrieben aggressiv und ironisch darstellt, um damit Verwerfliches darzustellen.

Zusammengefasst ist Satire ist also der Überbegriff für aggressive Zeitkritik, Verspottung des Lasters – nicht des Einzelnen – in ästhetischem Gewand. Die unterschiedlichen medialen Vermittlungen und Stilmittel (Parodie, Karikatur, Ironie, Sarkasmus usw.) finden sich in der Form der ästhetischen Vermittlung wieder. Für die ästhetischen Vermittlungsformen gibt es keine Grenzen: Lieder, Videos, Bilder, Theaterstücke – alles kann, nichts muss. In unserem Fall geht es dann um ein Gedicht, das Böhmermann nicht ohne Grund während des Vortrags selbst immer wieder kommentiert und die vermeintliche rechtliche Zweifelshaftigkeit des Inhalts eben immer wieder selbst thematisiert. Das Gedicht ist nicht als isolierbarer Text veröffentlicht, sondern nur in seinem Vortrag existent.

Der zweite relevante Begriff ist der der Schmähkritik und findet sich eben in Meyer-Sickendiecks Definition als negatives Merkmal einer Nicht-Satire wieder: Es geht Satire immer um die Verspottung und Verächtlichmachung von Lastern, nicht um das Verächtlichmachen von Einzelpersonen, indem man sie öffentlich diffamiert und einen Sachbezug nicht herstellt. Nun, was ist hier der Fall?

Schmähkritik oder Satire?

Ein satirischer Text, wie das Gedicht Böhmermanns (jetzt habe ich meine Antwort vorweggenommen …), funktioniert nicht im luftleeren Raum, sondern steht in Verhältnissen zur kritisierten Wirklichkeit, zum thematisierten und kritisierten Diskurs und zu weiteren relevanten Texten aus diesem Diskurs (Schilden 2015/Schilden 2016). Satirische Texte haben immer (!) mindestens zwei Kommunikationsebenen: Klar kann man sagen, dass Böhmermann Erdogan beleidigt, dann vergisst man aber die viel wichtigere und übergeordnete satirische Ebene: Welche Inhalte versucht Böhmermann an all diejenigen zu vermitteln, die eben nicht Erdogan sind und welche Inhalte sind für Erdogan von Bedeutung außer die Beleidigungen?

Man darf den Text nicht von seinem Vortrag, dem Kontext und den weiteren Texten in seinem Umfeld trennen, wenn man ihn sinnhaft bewerten und diskutieren will. Aus diesem Grund muss es als „Bühnenspiel“ begriffen werden und kann nicht ohne Böhmermanns gleichzeitige Kommentierung diskutiert werden. Nimmt man den bloßen Text als Grundlage, beinhaltet er auf erster Ebene zweifelsfrei Äußerungen, die persönliche Beleidigungen darstellen. Folgendes Transkript stammt von der Badischen Zeitung:

Jan Böhmermann: Willkommen in Deutschlands Quatschsendung Nummer eins! Wir sind’s. Wir haben mit Satire nichts am Hut.

Sidekick Ralf Kabelka: Genau!

Böhmermann: Was die Kollegen in Hamburg bei „Extra 3“ da gemacht haben, diese dicken Bretter, die können wir hier, sind wir nicht imstande zu bohren.

Kabelka: Schaffen wir nicht!

Böhmermann: Und ich sage: Hut ab! Große Nummer!

Kabelka: Das ist eine ganz andere Liga. Auch die „heute-show“, wie gut die ist!

Böhmermann: Die „heute-show“, die finde ich richtig gut. Wenn ich in der Vergangenheit gerüchteweise gehört habe, dass wir hier scharf auf den Sendeplatz sind von der „heute-show“, oder auf irgendwas, das Oli Welke gehört: Das würde ich niemals sagen, das stimmt nicht, auf gar keinen Fall. Oli! (Kusshand) Liebe Grüße! Riesenfan! Schau ich jede Woche, um mich inspirieren zu lassen. Und Satire, Extra3, hat in dieser Woche fast den Dritten Weltkrieg ausgelöst. Dafür erst mal einen großen Applaus. Super, ja, mit ’ner super Nummer. Offensichtlich schaut man in der Türkei jede noch so kleine Satire- oder Quatschsendung, wahrscheinlich auch diese. Liebe Türken, wenn Sie das jetzt sehen, vielleicht müssen wir Ihnen kurz mal etwas erklären. Was die Kollegen von Extra3 gemacht haben, also inhaltlich, humorvoll mit dem umgegangen sind, was sie da quasi politisch unten tun, Herr Erdogan, das ist in Deutschland, in Europa gedeckt von der Kunstfreiheit, von der Pressefreiheit von der Meiungsfreiheit

Kabelka: Artikel 5.

Böhmermann: Was?

Kabelka: Artikel 5, Grundgesetz.

Böhmermann: Artikel 5 unseres Grundgesetzes, unserer tollen Verfassung. Das darf man hier. Da können Sie nicht einfach sagen: Die Bundesregierung soll die Satire zurückziehen. Oder: Das muss gelöscht werden aus dem Internet. In Deutschland ist so was erlaubt, und ich finde es ganz toll, wie in dieser Woche die Zivilgesellschaft aufgestanden ist. Von Beatrix von Storch, die noch vor zwei Wochen mich erschießen lassen wollte wegen dieses komischen Songs, den wir hier gemacht haben – und jetzt ist sie auf einmal ganz vorne dabei, wenn es um Pressefreiheit und Kunstfreiheit geht. Alle Leute waren auf einmal auf einer Linie: Das muss zugelassen werden, je suis Extra3. Herr Erdogan, es gibt Fälle, wo man auch in Deutschland, in Mitteleuropa, Sachen macht, die nicht erlaubt sind. Es gibt Kunstfreiheit, das eine ist Satire und Kunst und Spaß, das ist erlaubt – und auf der anderen Seite, wie heißt es?

Kabelka: Schmähkritik heißt das.

Böhmermann: Schmähkritik, das ist ein juristischer Ausdruck. Was ist Schmähkritik?

Kabelka: Wenn Du Leute diffamierst, wenn Du einfach nur so unten herum argumentierst, wenn Du sie beschimpfst und wirklich nur bei privaten Sachen, die die ausmachen, herabsetzt.

Böhmermann: Herabwürdigen, das ist Schmähkritik. Und das ist in Deutschland auch nicht erlaubt. Haben Sie das verstanden, Herr Erdogan?

Kabelka: Das kann bestraft werden.

Böhmermann: Das kann bestraft werden?

Kabelka: Das kann bestraft werden.

Böhmermann: Und dann können auch Sachen gelöscht werden, aber erst hinterher, nicht vorher.

Kabelka: Ja, erst hinterher.

Böhmermann: Ist vielleicht ein bisschen kompliziert, vielleicht erklären wir es an einem praktischen Beispiel ganz kurz.

Kabelka: Ja, dann mach doch mal.

Böhmermann: Ich hab ein Gedicht, das heißt „Schmähkritik“. Können wir vielleicht dazu so eine türkisch angehauchte Version von nem Nena-Song haben? (Die gewünschte Musik erklingt) Und die türkische Flagge im Hintergrund bei mir? (Der Hintergrund ändert sich) Sehr gut. Und das, was jetzt kommt, das darf man nicht machen.

Kabelka: Darf man nicht machen.

Böhmermann: Wenn das öffentlich aufgeführt wird, das wäre in Deutschland verboten und da könnte man dann… Okay, das Gedicht heißt „Schmähkritik“.

Sackdoof, feige und verklemmt,
ist Erdogan, der Präsident.
Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner,
selbst ein Schweinefurz riecht schöner.
Er ist der Mann, der Mädchen schlägt
und dabei Gummimasken trägt.
Am liebsten mag er Ziegen ficken
und Minderheiten unterdrücken,

Das wäre jetzt quasi ne Sache, die…

Kabelka: Nee.

Böhmermann:

Kurden treten, Christen hauen
und dabei Kinderpornos schauen.
Und selbst abends heißt’s statt schlafen,
Fellatio mit hundert Schafen.
Ja, Erdogan ist voll und ganz,
ein Präsident mit kleinem Schwanz.

Wie gesagt, das ist ne Sache…

Kabelka: Das darf man nicht machen.

Böhmermann: Das darf man nicht machen.

Kabelka: Nicht Präsident sagen.

Jeden Türken hört man flöten,
die dumme Sau hat Schrumpelklöten.
Von Ankara bis Istanbul
weiß jeder, dieser Mann ist schwul,
pervers, verlaust und zoophil –
Recep Fritzl Priklopil.
Sein Kopf so leer wie seine Eier,
der Star auf jeder Gangbang-Feier.
Bis der Schwanz beim Pinkeln brennt,
das ist Recep Erdogan, der türkische Präsident.

Und das dürfte man jetzt in Deutschland (Applaus, Böhmermann fuchtelt mit den Händen)

Kabelka: Unter aller Kajüte! Nicht klatschen!

Böhmermann: Das ist jetzt ne Geschichte, was könnte da jetzt passieren?

Kabelka: Unter Umständen nimmt man es aus der Mediathek. Das kann jetzt rausgeschnitten werden.

Böhmermann: Wenn jetzt die Türkei oder der Präsident was dagegen hat, müsste er sich in Deutschland erst mal nen Anwalt suchen. Ich kann Ihnen sehr empfehlen unseren Scherzanwalt Dr. Christian Witz in Berlin.

Kabelka: Ja, er berät ja auch den Berliner Bürgermeister.

Böhmermann: Der berät auch den Berliner Bürgermeister? Unser Scherzanwalt Dr. Christian Witz?

Kabelka: Der macht einfach alles: Atze, Pocher und den Berliner Bürgermeister.

Böhmermann: Unser Scherzanwalt Dr. Christian Witz? Dann nehmen Sie sich nen Anwalt, sagen Sie erst mal, Sie haben da was im Fernsehen gesehen, was Ihnen nicht gefällt, Schmähkritik, und dann geht man erst mal vor ein Amtsgericht, ne? Einstweilige Verfügung, Unterlassungserklärung. Dann wird vielleicht die Sendung oder der Sender, der das gemacht hat, sagen: Nö, das sehen wir anders. Dann geht man die Instanzen hoch und irgendwann, nach drei, vier Jahren – wichtig ist, Sie müssen dafür sorgen, dass es nicht im Internet landet.

Kabelka: Ja.

Böhmermann: Wichtig ist: Sie müssen dafür sorgen, dass es nicht im Internet landet.

Kabelka: Aber das macht doch keiner.

Böhmermann: Das macht keiner, kann ich mir auch nicht vorstellen (Gelächter im Publikum).

Kabelka: Man hat’s ja in der Mediathek normalerweise.

Böhmermann: Warum soll man es dann ins Netz stellen? Ist es jetzt klar?

Kabelka: Ich glaub schon.

Böhmermann: Ich finde es ganz wichtig.

Es geht aber auf einer zweiten Kommunikationsebene um viel mehr: um Presse- und Meinungsfreiheit, Machotum, repressive Staaten, Minderheitenrechte, es geht um Satire und ihr Recht, es geht aber auch mal wieder um den öffentlichen Diskurs selbst – und auch um das Verhältnis von EU und der Türkei.

Steffen Seibert ließ auf einer Bundespressekonferenz verlautbaren, dass die Kanzlerin das Gedicht als einen „bewusst verletzenden Text“ ansieht. Nun, das kann man so sehen, wenn man nur die erste Kommunikationsebene hört oder hören will, aber es rechtfertigt sicherlich keinen Strafprozess.

Was hat Böhmermann geschafft?

Kommt es gegen Jan Böhmermann wegen seines Gedichts tatsächlich zu einem Prozess, trägt Satire einen Gewinn davon, den ich mir in den kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können, ich wünschte Dieter Hildebrandt würde das noch miterleben. Es würde bedeuten, dass Satire noch viel wichtiger in der Verteidigung der Grundrechte ist, als ich dachte. Außerdem wäre ein Sieg Böhmermanns vor Gericht mehr als wahrscheinlich, da der satirische Charakter des Gedichts eindeutig ist. Zudem wird wieder über Presse- und Meinungsfreiheit gestritten und das ist gut so. Der schlichte 9-Zeiler hat mit dazu beigetragen, dass sich gestern eine Anne-Will-Sendung mit dem Thema beschäftigte. Es geht nicht um Ästhetik oder um Höflichkeit – es geht um viel mehr. Das zu erwartende Urteil als Resultat wäre ein wunderbarer Präzedens-Freispruch. Schon alleine deswegen ist zu erwarten, dass es nicht zu einem Prozess kommen wird.

[Update 12.4.2016]

Das Thema zieht weiter Kreise, viele Meinungen wurden veröffentlicht, weitere Songs produziert. Vor allem der Blogbeitrag von Alexander Thiele, Privatdozent an der Universität Göttingen am Institut für Allgemeine Staatslehre, ist dabei sehr interessant, weil er – obgleich juristisch argumentierend – ganz ähnliche Ketagorien wie ich anlegt und zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt.

 

Literatur

Breinig, Helmbrecht (1984). Satire und Roman: Studien zur Theorie des Genrekonflikts und zur satirischen Erzählliteratur der USA von Brackenridge bis Vonnegut. Tübingen: Gunter Narr.

Budzinski, Klaus (1985): Hermes Handlexikon. Das Kabarett. Zeitkritik – gesprochen, gesungen, gespielt – von der Jahrhundertwende bis heute. Düsseldorf.

Meyer-Sickendieck, Burkard (2007): Satire. In: Ueding, Gert (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Band 8. Berlin/New York, Sp. 447-469.

Schilden, Frank (2015): Satirische Überformungen öffentlicher Diskurse im Massenkabarett am Beispiel der Asyldebatte. In: Diekmannshenke, Hajo/Neuhaus, Stefan/Schaffers, Uta (Hrsg.): Das Komische in der Kultur. Tectum, S.151-165.

Schilden, Frank (2016): Lachen gegen den Ungeist? Der NSU als Gegenstand im zeitgenössischen Kabarett. In: Frindte, Wolfgang/Geschke, Daniel/Haußecker, Nicole/Schmidtke, Franziska (Hrsg.): Rechtsextremismus und „Nationalsozialistischer Untergrund“. Interdisziplinäre Debatten, Befunde und Bilanzen. Springer VS, S.367-385.